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«Wir wollen kein Wettbewerber für die lokalen Bauern sein»

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«Wir wollen kein Wettbewerber für die lokalen Bauern sein»

16.04.2020

Marcel Florian ist überzeugt, dass die Landwirtschaft nachhaltiger werden muss. Der CEO der Growcer AG baut zusammen mit der Migros Basel eine mehrstöckige maschinenbetriebene Gemüsefarm auf dem Wolfareal in Basel. Kann man Robotern beibringen, Basilikum zu ernten?

Marcel Florian

BaselArea.swiss: Growcer produziert Gemüse in einer roboterisierten Anlage. Wie schmeckt das?

Marcel Florian: Salate und Kräuter schmecken intensiver. Wir können Bitterkeit, Süsse und Aroma beeinflussen. Durch unterschiedliches Licht können wir die Pflanze unterschiedlich wachsen lassen und biochemische Prozesse triggern. Das beeinflusst den Geschmack.

Welche Technologien sind dafür nötig? Das ist ähnlich wie beim hors-sol. Du brauchst ein Hydroponic-System und LED Licht in verschiedenen Spektren. Zum Beispiel machst du zwei Tage vor der Ente von Rucola blaues Licht an. Das stresst die Pflanze, was den Vitamin C-Gehalt erhöht und sie robuster für die Verarbeitung macht. Eine Stahlkonstruktion trägt die Pflanzen. Dieser so genannte plant carrier kann vertikal oder horizontal sein. Die Pflanze wächst in einem Medium, in dem sie sich wohlfühlt und in dem sie Wurzeln bildet. Wir führen der Pflanze eine genau austarierte Menge Wasser zu, die mit Nährstoffen versetzt ist. Dann brauchen wir noch die Klimatisierung. Temperatur, Luftfeuchtigkeit und CO2-Gehalt werden von einer Software gesteuert. Der Computer regelt die Abläufe in der Farm: Materialfluss, Logistik, Gebäudeautomatisierung, Bewässerung, Tür auf, Tür zu, Hähne auf, Hähne zu, Wasser rein, Wasser raus. So können wir die Rahmenbedingungen für das Wachstum der Pflanze unabhängig vom Wetter steuern.

Was muss der Mensch noch machen? In dieser Farm, so wie sie mal sein soll, müssen wir keine körperlich anstrengende, repetitive und teilweise gefährliche Arbeit machen. Bei der Ernte braucht es den Menschen dann wieder. Wir können noch nicht alles automatisiert ernten, weil die Pflanzen viel zu divers sind. Basilikum wächst ganz anders als Rucola. Aktuell braucht es auch noch Menschen für die Pflege. Pflanzen, die nicht so gut aussehen, nehmen wir raus oder beschneiden sie. Das passiert manuell. Ausserdem hast du zusätzlich Arbeitsplätze für die Wartung der Farm, also technisches Fachpersonal, das die Anlage und Roboter in Betrieb setzt und wartet.

Aber die Kontrolle der Pflanze, der Nährstoffe und der Qualität läuft automatisch ab? Das muss ein Mensch einmal herausfinden, dem Computer beibringen und dann testen. Unsere wissenschaftlichen Mitarbeiter wissen, was die jeweilige Pflanze braucht und wo man welches Substrat und welches Licht nehmen muss. Am Ende hast du ein Rezept im Computer, das zu dieser Pflanze und genau diesem Kultivar passt. So hat das Produkt zu jeder Jahreszeit die gleiche Qualität, Quantität und die gleichen Kosten.

Welche Technologien waren schon da, was habt ihr selbst entwickelt? Die Stahlkonstruktion, die Bewässerung und die Gebäudestruktur kaufen wir zu. Wir entwickeln die Art und Weise, wie das Ganze ineinandergesteckt wird und die Roboter für die Automatisierung. Wir haben ein weltweites Patent auf die kostensparende Methode für den Betrieb der Vertical Farm. Wir lassen unter anderem die LEDs 24/7 an und tauschen dafür die Pflanzen immer wieder aus. Mit dieser Methode brauchst du schon mal nur die Hälfte der LEDs. Anderes ist in der Entwicklung, aber noch nicht angemeldet.

Was kommt an technologischen Herausforderungen auf euch zu? Die Pflanzenpflege. Dafür muss der Computer die Pflanze zuerst erfassen und dann behandeln. Das eine geht nicht ohne das andere. Der Roboter muss wissen, wie die Pflanze aussieht, wo das Blatt anfängt und wo es aufhört. Und er muss erkennen, was ein Blatt und was ein Stamm ist, wo er schneiden darf und wo nicht, was er anfassen darf und was nicht. Im Bereich Computer Vision müssen wir ein paar sehr grosse Herausforderungen nehmen, damit der Roboter im nächsten Schritt weiss, wie er mit der Pflanze umgehen muss. Die Kamera sieht nämlich zuerst einmal nur Grün.

Ist das ein zukünftiges Patent? Ja, da läuft ein Forschungsprojekt an der ETH. Es braucht eine Datenbasis mit mehr als 100’000 Bildern von jeder Pflanze um den Computer richtig trainieren zu können. Der Roboter muss so häufig Basilikum sehen, damit er erkennt, wo sich Muster ergeben, was der Stamm ist und was die Blätter sind. Das geht in Richtung Künstliche Intelligenz, auch was die Optimierung der Rezepte angeht: Du hast ein Rezept, die Pflanze hat einen gewissen Ertrag, eine gewisse Grösse, einen gewissen Geschmack. Je nachdem, was du in dem Rezept änderst, hat das einen Einfluss. Das weisst du dann sechs Wochen später: Wenn du zum Beispiel die Temperatur von 24 auf 16 Grad in der Ruhephase reduzierst, erhöhst du die Biomasse. Auch die Lichtdauer hat einen Einfluss auf die Pflanze. An sich kann die Maschine lernen, wie diese Feinparameter den Output der Farm beeinflussen. Es gibt aber so viele Sensoren und so viele Einflussfaktoren, dass man das in der ersten Phase sortieren muss. Die Daten technisch auslesen, deuten und in Relation zueinander bringen ist die Herausforderung.

Growcer hatte zuvor eine Pilotanlage im Kanton Solothurn. Warum seid ihr nach Basel gekommen? Die SBB haben uns die Halle auf dem Wolf für die nächsten Jahre zur Verfügung gestellt. Dann kam die Migros Basel dazu, die schon Erfahrung mit Urban Farming gemacht haben. Sie wissen, woran es gescheitert ist und wie sie es mit uns besser machen wollen. Ausserdem hat Basel eine vorteilhafte Lage im Dreiländereck und eine gute logistische Anbindung.

Die Migros Basel ist euer Partner in der Entwicklung der ersten «Robotic Vertical Farm». Ist das auch ein exklusiver Liefervertrag? Exklusiv sind wir mit keinem Retailer. Wir mussten einige vertrösten, weil die Kapazitäten nicht reichen. Wir können aktuell nicht einmal den Bedarf der Migros stillen. Deswegen fokussieren wir uns auf einen Kunden, sogar auf einige Supermärkte ganz in der Nähe. Das Projekt mit der Migros ist ein Showcase für unsere Kunden, der zeigt, dass sich die Farm rechnet und dass sie läuft und die Produkte hervorragend sind.

Wo wollt ihr als nächstes ausbauen? Wir schauen in die Ostschweiz. Da gibt es einen schweizweit einmaligen sweet spot mit drei Verteilzentren der grossen Retailer an einem Ort. Da haben wir ein schönes Grundstück gefunden. Es gibt einen Franchisenehmer, mit dem wir die Farm bauen wollen.

Ihr seid im Kern ein Franchiseunternehmen? In der jetzigen Phase sind wir erst einmal der Produzent. Wir werden für den Verkauf der Produkte bezahlt. Aber das ist eine einmalige Sache. Langfristig basiert unser Geschäftsmodell auf Franchising. Wir bringen das Gebäude, die Technik, die Software, das Saatgut, unsere Nährstoffe und die Vertriebskanäle. Die Händler allokieren über uns den Bedarf in der Schweiz und bestimmen, was welche Farm produziert. Wir haben schon jetzt unfassbar viele Anfragen von Leuten, die noch die zehnte leerstehende Wohnung bauen und mit ihrer Rendite an Grenzen stossen. Die Farm an sich ist zwareine Immobilie, jedoch in der Lage zu produzieren und Erträge zu erwirtschaften. Das allein reicht aber nicht. Du brauchst auch die Vertriebskanäle.

Ihr baut eine teure Anlage auf dem Wolfareal in Basel. Wer zahlt das? Ich. Ich kann das finanzieren, aber mit externem Geld geht’s natürlich schneller. Deswegen waren wir auch in der «Höhle der Löwen» Schweiz. Über mangelndes Interesse von Investoren können wir uns nicht beklagen. Viele haben sich gemeldet, aber viele haben völlig falsche Erwartungen. Wir gucken, wer zu uns passt.

Du warst also schon sehr erfolgreich mit deinen vorherigen Unternehmen. Warum hast du nicht einfach weitergemacht? Meine vorherige Firma hatte ein supergutes Tool für den Handel entwickelt. Unter anderem auch Möbel Pfister und Hubacher gehören zu den grössten Kunden. Als ich 2017 Papi wurde, habe ich hinterfragt, wie ich mit der Zeit, dem Geld und dem Team weitermachen will und kam zu dem Entschluss, dass ich die wirklich wichtigen Herausforderungen angehen will. Der Klimawandel ist ja eine Realität. Im Tessin gab es in den vergangenen Jahren Wasserentnahmestopps. Bei Berlin haben die Felder gebrannt. Ich wollte was Nützliches machen, das die Art und Weise verändert, wie wir Lebensmittel produzieren. Die Landwirtschaft ist einer der grossen Treiber im Klimawandel. Jetzt kommt noch das Coronavirus dazu. Wenn es gut läuft, ist alles top, aber wenn so eine Pandemie auftritt, merkt man, wie fragil das ganze System ist.

Glaubst du, die Vertical Farm ist die Zukunft der Landwirtschaft? Sie ist ein Teil dieser Zukunft. Es gibt natürlich Grenzen. Wir können kein Gemüse wirtschaftlich anbauen, das unter der Erde wächst. Kartoffeln und Karotten aus der Vertical Farm sehen noch komisch aus und sind nicht wirtschaftlich. Dafür können wir Kräuter wie Basilikum in einer derart guten Qualität so unglaublich günstig produzieren, dass man sich den Import sparen kann. Von der Ernte bis ins Verkaufsregal geht etwa ein Drittel der Ware verloren, vor allem durch Verderb und den Transport. Die Vertical Farm hat für gewisse Anwendungen ihre Daseinsberechtigung, für andere Anwendungen passt sie nicht.

Welche Pflanzen kann man zu Marktpreisen anbauen? Kräuter und diverse Blattgemüse sind sehr profitabel. Wir können sogar Erdbeeren kultivieren. Die müssen bestäubt werden, aber das geht. Unsere Produktion läuft antizyklisch. Wir schauen, dass wir im Winter die Erdbeeren liefern und im Sommer den Nüsslisalat. Wir werden die Importe substituieren so gut wir können. Wir wollen kein Wettbewerber für die lokalen Bauern sein.

Wie reagieren die Leute, wenn sie sehen, dass ein Roboter das Gemüse pflanzt? Wir bekamen krasse Kommentare. Es ist ein neues Produkt, da ist das verständlich. Unsere Pflanzen haben noch nie die Sonne gesehen. Darüber müssen wir offen sprechen. Kann das schmecken? Hat das Gemüse Vitamine? Was ist mit den Arbeitsplätzen? Ist der Salat tatsächlich regional, nur weil er aus einer Roboterfarm aus der Region kommt?

Wie wird die Dosierung der Nährstoffe kontrolliert, so dass kein Schaden für Menschen und Pflanzen entsteht? Wir verwenden ein Standardprodukt einer Nährstofflösung welche die gleichen Mineralien enthält, die auch im Boden enthalten sind. Wir kontrollieren konstant die Elektronenleitfähigkeit der Pflanze. Die zeigt die Konzentration der Nährstoffe an. So sehen wir, wie oft wir die Nährstoffkonzentration erneuern müssen. Im Feld gibt es diese Möglichkeit nicht, so granular zu messen und zu dosieren. Da verwendest du eine gewisse Konzentration und die wird dann verstreut. Bei uns könnten wir auch bestimmte Salze nachdosieren. Das ist ein enormer Fortschritt in der Landwirtschaft und ressourcenschonend.

Könnte Growcer in einer roboterisierten Farm auch Bio-Gemüse züchten? Das Bio-Zertifikat erhält man nur, wenn die Erde eine gewisse Beschaffenheit hat. Da wir gar keine Erde haben, kann man diese Beschaffenheit Stand heute in unserer Farm nicht erreichen. An sich produziert die Farm aber das, was der Kunde möchte, wenn er bio kauft: die Produkte sind regional, es wurden keine Pestizide eingesetzt, wir haben 95 Prozent Wasserersparnis gegenüber der herkömmlichen Landwirtschaft. Das liegt daran, dass wir das Wasser rezirkulieren lassen. Auch die Lebensdauer der geernteten Salate ist deutlich länger. Für die Migros Basel ernten wir eine Stunde vor Auslieferung. Um 10 Uhr kommt die Bestellung rein, um 11 Uhr holen sie die Ware und um 12 Uhr ist sie in der Filiale.

Was sind eure nächsten Ziele? Wir müssen die Prozesse in den Griff bekommen. Sich von einer R&D-Farm zu einer voll produktiven Farm zu entwickeln, die 365 Tage im Jahr läuft und kontinuierlich einen hohen Mindestoutput generiert, ist eine grosse Herausforderung. Jeden Wochentag eine gewisse Menge der gleichen Produkte mit der gleichen Qualität zu den gleichen Kosten zu produzieren – das ist eine Herausforderung und unsere Aufgabe.

Brauche ich, um Vertical Farmer zu werden, künftig nur eine grosse Halle und ein iPad? Das ist das Ziel.

Über Marcel Florian

2019 gründete Marcel Florian die Growcer AG. Zuvor hatte er die Store One AG gegründet und geführt, davor war er Mitgründer bei Comtravo. Marcel Florian absolvierte einen Bachelor of Science an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Würzburg-Schweinfurt.

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